Rezension: Grau

von Jun 11, 2024

Sokrates in Sneakern

Titel: Grau

AutorIn: Jasper Fforde

Format: E-Book

EAN: ‎ 9783838723327

Seiten

Bewertung:

Munsells Abgründe

Klappentext:

Es läuft gut für Eddie Russett: Seine Rotsicht ist exzellent, er wird mit etwas Glück auf der Farbskala nach oben heiraten, und sein Leben plätschert angenehm ereignislos dahin – bis zu dem Tag, an dem er sich unrettbar verliebt. Denn Jane ist nicht nur geheimnisvoll und wunderbar stupsnasig, sie ist auch komplett farbenblind und gehört damit der gesellschaftlichen Unterschicht an: eine Graue! Jane hebt Eddies geordnete Welt aus den Angeln: Plötzlich hat er einflussreiche Feinde, wird mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert, und zu allem Überfluss versucht seine Angebetete auch noch immer wieder, ihn umzubringen. Denn Jane hütet ein hochexplosives Geheimnis, und Eddie weiß bereits zu viel …

Mein Eindruck:

Dieses Buch wurde mir als Grundlage für eine Leserunde gestellt, damit ich den Folgeband verstehen kann. Doch um ehrlich zu sein, bin ich ziemlich unsicher, was ich aus dem Vorgänger mitnehmen soll. Jedes Mal, wenn mich jemand gefragt hat, was ich gerade lese und worum es in diesem Buch geht, habe ich eine andere Antwort gegeben (deswegen gibt es diesmal auch keine eigene Inhaltsangabe).

Die Grundidee des Autoren einer gesellschaftlichen Ordnung basierend auf der Farbrezeption finde ich kreativ und interessant, doch er scheitert daran, diese Idee zu vermitteln. Seine Geschichte ist so gut strukturiert und durchdacht worden, dass sie fast schon zu komplex ist und oft kam es mir so vor, als hätte er etwas einfach benannt, um klug rüberzukommen oder um zu verwirren.

Durch die Einschübe von Eigenwörtern und Fachbegriffen wurde ich konstant in meinem Lesefluss gestört und bin deshalb extrem langsam vorangekommen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich wirklich in die Handlung finden konnte. Es fühlt sich viel eher so an, als wäre ich nur in die oberste Schicht eingetaucht und die Schichten darunter waren zu dicht, als dass es mir möglich gewesen wäre, sie zu durchdringen. Die gesamte Leseerfahrung glich einem Kampf.

Einen wirklichen Spannungsaufbau kann ich diesem Buch nicht zusprechen. Viele Szenen sollen spannend sein, doch die Not, alles aufgrund der Komplexität der Welt erklären zu müssen, hat den Effekt dieser Enthüllungen zu stark geschwächt. Dazu kam, dass der Großteil dieser Enthüllungen ziemlich vorhersehbar war, was die Handlung ein Stück langweiliger machte.

Ein minimales Maß an Spannung und Aktion konnte ich im letzten Drittel des Buchs feststellen, doch bis ich dort ankam, habe ich schon dreimal überlegt, es einfach abzubrechen. Die Handlung umfasst 5 Tage und das Buch knapp 480 Seiten und es fühlt sich unglaublich langatmig an, obwohl sie nie wirklich zum Stillstand kommt. Ich kann mir das nicht erklären, aber so hat es sich angefühlt.

Besonders gefallen hat mir dafür die Entwicklung von Eddie Russett. Er startet als regelkonformer, treuer und vorbildlicher Bürger und fängt im Laufe der Handlung immer mehr an diese Gesellschaftsform in der er lebt zu hinterfragen und neben Korruption und Mord viele weitere Dinge zu entdecken, die sein Weltbild erschüttern.

Jane, die Graue, die eine große Rolle spielt, finde ich insofern interessant, als dass man schlecht einschätzen kann, was sie als nächstes tun wird und welches genaue Ziel sie verfolgt. Leider bleiben viele der einfach genannten Dinge unbeantwortet, doch vielleicht finden sich die Antworten in ‚Rot‘, dem zweiten Band.

Alles in allem finde ich die Idee und Welt, die dieses Buch verkörpert, super faszinierend und kreativ. Es fühlt sich befremdlich an, weil es viele Parallelen zu unserer Welt zu geben scheint, die nur am Rande erwähnt werden und irgendwie konnte Jasper Fforde zwar mein Interesse wecken, doch nicht meine ungeteilte Aufmerksamkeit einfangen, was ich schade finde, denn es gibt extrem tiefgründige Passagen in diesem Buch. Wäre ‚Rot‘ nicht das eigentliche Rezensionsexemplar, würde ich es vermutlich nicht lesen wollen.

 

 

{

(…) ich spürte auch Entdeckerfreude in mir,

die Lust auf ein Verstehen der Welt.

Gleichzeitig stellte sich noch etwas ein:

das überwältigende Gefühl,

einen unermesslichen Verlust erlitten zu haben.

Die zahllosen Rücksprünge über die Jahre

hatten dem Kollektiv so ungeheuer viel Wissen entzogen,

dass wir jetzt regelrecht dastanden,

und nicht nur das,

wir hatten nicht einmal eine Ahnung,

wie sehr beschränkt wir waren.

– Eddie Russett